OLG Düsseldorf, I-20 U 64/07 – Bronzeengel

Aus dem Urteil OLG Düsseldorf v. 30.10.2007 – I-20 U 64/07 zur einer in der Benediktiner-Abtei Maria Laach in der Eifel in über 600.000 facherer Ausfertigung hergestellter 6,5 cm hohen Bronzestatuette eines Engels:

„Der Schöpfer der Statuette des Klägers hat seinen Engel, der ikonographischen Tradition folgend, als menschliche, männliche Gestalt dargestellt, deren Körper mit Flügeln versehen ist. Nach seiner eigenen künstlerischen Entscheidung aber ist der Engel in Ruhe dargestellt, mit langen an den Rumpf und die Beine angelegten Flügeln, also nicht etwa in einer fliegenden Annäherung. Der Engel steht dem Betrachter frontal gegenüber. Auf dem schlanken Körper sitzt ein schlanker, sehr leicht – von Betrachter aus gesehen – nach rechts und nach vorne geneigter ovaler Kopf. Das Gesicht ist dem Betrachter zugewandt. Der Engel hat die in ihrem oberen Teil ersichtlich herabhängenden Arme in Richtung des Betrachters angewinkelt, ebenso nochmals die Hände nach oben, und zwar in einer Weise, dass er dem Betrachter die Innenflächen seiner Hände zeigt. Die liturgischen Handgebärden nahe Geste kann als Gruß, vielleicht auch als Segen verstanden werden. Die Hände weisen leicht nach außen. Bekleidet ist der Engel mit einem die ganze Figur außer den Flügeln umschließenden Kapuzenmantel. Der Engel hat die Kapuze auf den Kopf gezogen, was bei einer Betrachtung der Figur von der Seite deutlicher wird als bei einer Ansicht von vorne. An der Stirn lässt die Kapuze einen Teil des Haupthaars sichtbar. Der Mantel reicht bis auf den Boden und verdeckt die Füße des Engels. In Brusthöhe wird der – ersichtlich vorne in der Mitte geschlitzte – Mantel durch die Arme auseinander gehalten, was den Blick auf ein Untergewand freigibt. Am Boden kommen die Mantelränder aber wieder zusammen, ersichtlich infolge der Schwere des Stoffes, und überlappen sich sogar. Damit hat der sichtbare Bereich des Untergewands die Form eines nach unten lang gezogenen Dreiecks. Vor Brust und Hals erscheint der Mantel geschlossen und aus einem Stück. Der Kapuzenmantel des Engels erinnert an die in der westlichen Ordenskleidung überkommene Kukulle, wobei die Statuette keine weiten Ärmel erkennen lässt. In dieser Bekleidung lebt der antike, „Paenula“ genannte Mantel fort (siehe Lexikon für Theologie und Kirche, 2. Auflage, Band 7, 1962, Stichwort „Mönchskleidung“). Zur Illustration kann gerade auf die von der Beklagten als Anlage B 2 vorgelegte Abbildung eines Freskos von Fra Angelico aus dem Florentiner Kloster San Marco mit der Darstellung einer Marienkrönung und verschiedener Heiliger dienen: Die drei dort dargestellten Dominikanerheiligen zeigen die Variante des Mönchsmantels ohne Ärmel.


Der Schöpfer hat für die Statuette zwar durchaus eine gegenständliche Darstellungsweise gewählt, den Engel aber in einer knappen, andeutenden, manche Einzelheiten weglassenden Formensprache wiedergegeben. Der Umriss des mit dem Mantel bekleideten Körpers folgt in etwa der geometrischen Figur einer – im unteren Teil langgezogenen – Raute, auf deren oberer Spitze der längliche Kopf sitzt; die untere Spitze ist abgeschnitten, um der Standfläche der Statuette Raum zu gegeben. Dieser Umriss lässt die Schultern des Engels verschwinden. Die Linien des unteren langgezogenen Dreiecks der Raute wird von den Begrenzungslinien der Mantelöffnung aufgegriffen. Etwa auf der Höhe der größten Breite der Raute setzen die schräg nach oben gerichteten Innenflächen der Hände mit ihrer kleinteiligeren Binnenzeichnung Akzente. Die Arme greifen aber nicht in den Raum aus, vielmehr sind die Hände unmittelbar vor dem Oberkörper ausgebildet. Die Flügel umfangen den Körper seitlich mit ihrer an den Schultern mit einer Rundung ansetzenden, dann lang nach unten auslaufenden leicht erhabenen Begrenzungslinie; auch mit ihr wird die Figur nach unten hin schmaler. Bei der Analyse des ästhetischen Gehalts der Statuette kommt ihrer Rückseite keine wesentliche Bedeutung zu, weil sie kaum auf Ansicht gestaltet ist und Kopf, Hals, Rücken und Rückseiten der Flügel ohne weitere Gestaltung ineinander übergehen lässt.


Die klägerische Gestaltung vermittelt den Eindruck einer konzentrierten Zuwendung des mit der Handgebärde grüßenden Engels zu seinem Betrachter. Ersichtlich hat der Engel ihm, seinem Amt entsprechend, eine Botschaft zu überbringen, die Aufmerksamkeit erfordert. Der Engel wirkt ruhig und ernst, aber nicht unfreundlich; der Kläger selbst hält ihn sogar für „freundlich“. In dem ruhigen Ausdruck stimmen die Gesichtszüge und die Form der gesamten Figur mit ihrer reduzierten Ausbildung der Einzelheiten und der klaren Linienführung überein. Wie der Kläger geltend macht, drückt die geometrische Struktur der Gestalt „innere Logik und Festigkeit“ aus. Der klare, leicht zu erfassende Umriss und die Bekleidung der Engelfigur mit einem, von der dreieckigen Öffnung abgesehen, den ganzen Körper bis auf die Flügel umschließenden Kapuzenmantel vermitteln zudem einen Eindruck von Abgeschlossenheit und Sammlung, die vielleicht als mönchisch näher bezeichnet werden können. Allein wegen ihrer Schlankheit ist die Figur aber noch nicht als asketisch anzusprechen, zumal da die Vorstellung von Askese bei einem Engel nicht nahe liegt. In der – nachvollziehbaren – Wahrnehmung des
Klägers „strahlt“ sein Engel „Zuversicht und Stärke“ „aus“. Der Kläger spricht ihm deshalb sogar die Wirkung zu, „Mut zu machen“. Ungeachtet der geringen Größe, in der die Engelfigur vom Kläger gegossen wird, wirkt sie mit ihren klaren „großen“ Formen in gewisser Weise monumental, wozu allerdings auch die eine feine Oberflächenstruktur bewirkende Qualität des Bronzegusses beitragen dürfte.

Die Engelfigur des Klägers ist ohne weiteres als eine persönlich geistige Schöpfung ihres Gestalters nach § 2 Abs. 2 UrhG und damit als ein Werk im Sinne des Urheberrechts anzusprechen. Der Schöpfer der klägerischen Figur hat zum Ausdruck des Gedankeninhalts der Übermittlung einer göttlichen Botschaft durch einen hierzu bestellten dienenden Geist eine künstlerische Form gefunden, die die Sinne des Betrachters den Gedankeninhalt unmittelbar wahrnehmen lässt. Die Statuette bringt dank großer künstlerischer Kraft ihres Schöpfers gestalterisch klar zum Ausdruck, was für den Verstand den Begriff eines Engels ausmacht. Der erkennende Senat muss davon ausgehen, dass der Schöpfer bei seiner Gestaltung der Engelfigur nicht in erheblichem Maße auf vorbekannte Formen zurückgreifen konnte, sondern ihm eigene Formen gefunden hat. Einschlägige Formen anderer sind in den Rechtsstreit nämlich nicht eingeführt worden. Von der Tradition vorgegeben ist allein die Darstellung eines Engels in menschlicher, männlicher Gestalt mit Flügeln. Die Ausbildung der mit Flügeln versehenen menschlichen Gestalt im Einzelnen, wie sie vorstehend beschrieben worden ist, wozu besonders auch die Bekleidung mit dem – für Ordensleute, nicht aber Engel typischen – Kapuzenmantel und dessen dreiecksförmige Öffnung gehören, ist aber eine gestalterische Leistung des Schöpfers gerade dieser Figur. Der Statuette kommt damit nach Auffassung des Senats ein beträchtlicher ästhetischer Gehalt zu. Der Schutzbereich des an ihr bestehenden Urheberrechts ist dementsprechend groß.“

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