Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und die Tücken des IPR

1. Das Europäische Patent mit einheitlicher Wirkung wird als Gegenstand des Vermögens einer bestimmten Rechtsordnung unterstehen. Die entsprechende Kollisionsnorm ist in Artikel 7 der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (im Folgenden: EPV) enthalten:

„(1) Ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens ist in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des teilnehmenden Mitgliedstaats zu behandeln, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, und in dem, gemäß dem Europäischen Patentregister:
a) der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents seinen Wohnsitz oder den Sitz seiner Hauptniederlassung hat oder,
b) sofern Buchstabe a nicht zutrifft, der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung eines Europäischen Patents eine Niederlassung hatte.

(3) Hatte für die Zwecke der Absätze 1 oder 2 keiner der Patentanmelder seinen Wohnsitz, den Sitz seiner Hauptniederlassung oder seine Niederlassung in einem teilnehmenden Mitgliedstaat, in dem dieses Patent einheitliche Wirkung hat, so ist ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung als Gegenstand des Vermögens in seiner Gesamtheit und in allen teilnehmenden Mitgliedstaaten wie ein nationales Patent des Staates zu behandeln, in dem die Europäische Patentorganisation gemäß Artikel 6 Absatz 1 EPÜ ihren Sitz hat.“

Noch größere Bedeutung gewinnt diese Vorschrift dadurch, dass nach Artikel 5(3) EPV auch für die Verletzungstatbestände und deren Beschränkungen das Recht dieses Mitgliedsstaates anwendbar ist.

2. Leider führt Artikel 7 EPV nicht immer in eindeutiger Weise zum Recht nur eines Mitgliedsstaates:

2.1) Erstens ist nach Regel 41(2) c) EPÜ im Erteilungsantrag der Staat des Sitzes des Anmelders (gemeint ist der Staat der Hauptniederlassung, wie aus der englischen Fassung von Regel 41(2) c) EPÜ deutlich wird) anzugeben, der dann auch im Register eingetragen wird. Der Staat einer Niederlassung, die nicht auch Hauptniederlassung ist, kann allenfalls dann im Europäischen Patentregister erscheinen, wenn im Erteilungsantrag eine Angabe gemacht wird, die nicht Regel 41(2) c) EPÜ entspricht und somit streng genommen ein Mangel ist, der auf eine Rüge nach Regel 58, 57 b) EPÜ in der Formalprüfung zu beheben wäre.

Dies führt beispielsweise dann zu einer Unsicherheit bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts, wenn im Erteilungsantrag der Staat einer Niederlassung angegeben wird und diese Angabe bei der Formalprüfung und noch vor Veröffentlichung der Patentanmeldung dahingehend korrigiert wird, dass ein anderer Mitgliedstaat als Staat der Hauptniederlassung angegeben wird.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats der zuerst angegebenen Niederlassung maßgeblich sein soll, nur weil dieser Staat bei Einreichung der Anmeldung angegeben wurde und obwohl dieser Staat weder auf der Veröffentlichung der Patentanmeldung noch im Europäischen Register für Dritte einsehbar angezeigt wurde, oder
b) das Recht des Staats der Hauptniederlassung maßgeblich sein soll, da der Anmelder bei Einreichung der Anmeldung dort schon die Hauptniederlassung hatte und immer nur dieser Staat im Europäischen Register für Dritte einsehbar war, oder
c) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung zwar seine Hauptniederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte, aber diese zu diesem Zeitpunkt nicht im Europäischen Patentregister eingetragen werden konnte.

2.2) Zweitens muss die Angabe des Staats der Hauptniederlassung oder Niederlassung nicht bei Einreichung einer Patentanmeldung erfolgen. Die entsprechende Angabe kann im Rahmen der Formalprüfung nach Regel 58, 57 b) EPÜ nachgeholt werden, sofern die Identität des Anmelders festgestellt werden kann oder eine Kontaktaufnahme mit ihm möglich ist (z.B. über seinen Vertreter) (Regel 40 (1) b) EPÜ).

Wenn der Anmelder nach Einreichung der Anmeldung und vor Beantwortung eines Mängelbescheids nach Regel 58, 57 b) EPÜ seine Hauptniederlassung in einen Mitgliedsstaat verlegt oder eine Niederlassung in einem Mitgliedsstaat veröffentlich, könnte er den entsprechenden Staat bei Beantwortung der Mitteilung nach Regel 58 EPÜ angeben. Dem Europäischen Patentregister kann in keiner Weise entnommen werden, ob die Hauptniederlassung oder Niederlassung in diesem Staat schon zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung bestand.

Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall
a) das Recht des Staats maßgeblich sein soll, der bei der Formalprüfung angegeben wurde, nur weil er als einziger Staat im Europäischen Patentregister erscheint und obwohl er zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung noch nicht Staat der Hauptniederlassung oder Niederlassung war, oder
b) das Recht Deutschlands nach Artikel 7(3) EPV maßgeblich sein soll, da der Anmelder zum Zeitpunkt der Einreichung der Anmeldung weder Hauptniederlassung noch Niederlassung in einem Mitgliedsstaat hatte.

2.3) Drittens divergieren die deutsche und englische Fassung von Artikel 7 EPV bezüglich des maßgeblichen Zeitpunkts. Artikel 7 EPV in der deutschen Fassung nimmt Bezug auf den „Zeitpunkt der Einreichung einer Anmeldung“. Artikel 7 EPV in der englischen Fassung nimmt Bezug auf „the date of filing of the application“ (d.h. den Anmeldetag i.S.v. Regel 40 EPÜ).

Ein typisches Beispiel, bei dem die beiden Zeitpunkte auseinanderfallen, liegt bei Teilanmeldungen vor. Bei einer Teilanmeldung liegt der Tag der Einreichung (= der Tag, an dem die Teilanmeldung beim EPA eingeht) später als der Anmeldetag, der nach Artikel 76(1) EPÜ auf den Anmeldetag der Stammanmeldung fingiert wird.

Es stellt sich die Frage, ob eine nach dem Anmeldetag der Stammanmeldung im Register eingetragene Änderung des Staates des Anmelders dazu führt, dass
a) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der bei Einreichung der Teilanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der deutschen Fassung von Artikel 7 EPV), oder
b) das Recht des Mitgliedsstaates maßgeblich sein soll, der am Anmeldetag der Stammanmeldung als Staat des Anmelders im Europäischen Patentregister eingetragen war (so nach der englischen Fassung von Artikel 7 EPV).

2.4) Viertens kann sich selbst der Anmeldetag einer Anmeldung verschieben, wenn fehlende Teile nachgereicht werden (Regel 56(2) oder (5) EPÜ) oder die nachgereichten Teile anschließend wieder zurückgenommen werden (Regel 56 (6) EPÜ). Auch hier stellt sich die Frage, welcher Staat maßgeblich sein soll, wenn zwischenzeitlich eine Änderung im Staat des Anmelders erfolgt ist und dem EPA mitgeteilt wurde.

2.5) Fünftens bestehen zumindest die in 2.3 und 2.4 genannten Probleme, dass der maßgebliche Zeitpunkt nicht eindeutig bestimmt ist, auch für eine Anmeldermehrheit (Artikel 7(2) EPÜ). Beispielsweise sind Fälle vorstellbar, bei denen zwischen dem Tag der Einreichung einer Anmeldung und dem (Anmelde-)Tag, auf den nach Regel 56(2) EPÜ eine Verschiebung erfolgt, ein Anmelder hinzugefügt wird.

3. Die oben skizzierten Probleme können wesentlichen Einfluss auf die materielle Rechtslage haben, wenn ein Patent mit einheitlicher Wirkung übertragen wird. Dies gilt beispielsweise:

  • bei den Formerfordernissen für einen Übertragungsvertrag (keine Formerfordernisse nach deutschem Recht; Schriftform vorgeschrieben nach englischem Recht nach Section 30 (6) UK Patents Act) oder
  • der Publizitätswirkung des Registers, wenn ein Patentinhaber mehrere aufeinanderfolgende Übertragungsverträge über dasselbe Patent mit einheitlicher Wirkung abschließt (deutsches Recht: Der erste Vertrag ist wirksam und der Vertragspartner des zweiten Übertragungsvertrags kann vom ursprünglichen Inhaber nicht mehr wirksam das Recht an dem Patent mit einheitlicher Wirkung erwerben; englisches Recht: Der spätere Vertrag ist wirksam, falls die erste Übertragung nicht im Register eingetragen ist oder eine solche Eintragung nicht beantragt wurde, Section 33(1) UK Patents Act).

4. Die oben skizzierten Probleme bei der Bestimmung des nach Artikel 7 EPV maßgeblichen Rechts haben auch Auswirkungen auf das Verletzungsverfahren. Nach Artikel 5(3) EPV gilt das so bestimmte Recht nämlich auch für die „Handlungen, gegen die das Patent Schutz … bietet, sowie die geltenden Beschränkungen“.

Die Verletzungshandlugen sind zwar in Artikel 25 und Artikel 26 des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht (im Folgenden: EGPÜ) definiert, und Artikel 27 EGPÜ definiert Beschränkungen des Schutzes. Im Rahmen der Regelung der Artikel 25 bis 27 EGPÜ stimmt das materielle Recht der Mitgliedsstaaten also überein (ist also „materielles Einheitsrecht“).

Allerdings kann das Recht der Mitgliedsstaaten anderen Beschränkungen vorsehen, die nicht im EGPÜ geregelt sind und somit nicht in allen Mitgliedsstaaten einheitlich sind. Man denke hier beispielsweise an den kartellrechtlichen Zwangslizenzeinwand, für den in unterschiedlichen Mitgliedsstaaten unterschiedliche Ansätze gewählt werden (siehe hierzu beispielsweise Standards-Essential Patents and Injunctive Relief, Jones Day).

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