BGH, X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

BGH, Urteil vom 8. November 2022 – X ZR 10/20 – Scheibenbremse II

Amtliche Leitsätze:

a) Damit sich die technischen Wirkungen einer Erfindung in bestimmten Teilen widerspiegeln und deren Einbau zu einer die Erschöpfungswirkung verdrängenden Neuherstellung führt, müssen diese in besonderer, auf die Erfindung abgestimmter Weise ausgestaltet sein, um die ihnen zukommende Funktion erfüllen zu können, etwa durch eine besondere Formgebung (BGH, Urteil vom 4. Mai 2004 – X ZR 48/03, BGHZ 159, 76, 92 f. – Flügelradzähler; Urteil vom 3. Mai 2006 – X ZR 45/05, GRUR 2006, 837 Rn. 22 – Laufkranz).

b) Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn die maßgebliche Wirkung der zu beurteilenden Teile allein darin besteht, dass sie verschleißen.

BGH, I ZR 121/21 – Google-Drittauskunft

Amtliche Leitsätze:

Der Umfang der Auskunftspflichten von Verletzern von Kennzeichenrechten und bestimmten Dritten über die Herkunft und den Vertriebsweg von widerrechtlich gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen gemäß § 19 Abs. 1 MarkenG beschränkt sich auf die in § 19 Abs. 3 MarkenG ausdrücklich genannten Angaben. Davon wird die Angabe zum Zeitpunkt der Veröffentlichung einer Werbeanzeige im Internet nicht erfasst.

Die Regelung des § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG bezieht die Auskunftspflicht nicht auf Werbemittel und damit nicht auf die Anzahl der Klicks auf eine rechtsverletzende Internetanzeige, mit denen die Internetseite des Bestellers der Anzeige aufgerufen wurde. § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG kann auch nicht analog auf rechtsverletzende Werbemittel angewendet werden.

Der Auskunftsanspruch gemäß § 19 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG bezieht sich auf die Preise für rechtsverletzende Dienstleistungen, nicht jedoch auf die Preise für Dienstleistungen gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 3 MarkenG, die für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt worden sind. Es besteht daher kein Anspruch auf Auskunft über den Preis, den der Besteller für eine rechtsverletzende Internetanzeige bezahlt hat.

BGH, X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

BGH, Urteil vom 21. Juli 2022 – X ZR 110/21 – Stammzellengewinnung

Amtlicher Leitsatz:

Das Interesse der Allgemeinheit an der Beseitigung eines zu Unrecht erteilten Patents rechtfertigt die Nichtigkeitsklage nur solange, als das Recht noch wirksam und in Kraft ist. Ab dem Zeitpunkt, in dem das Recht entfallen ist, ist die Nichtigkeitsklage nur zulässig, wenn dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite steht. Das allgemeine Interesse an der Sicherung einer gesetzeskonformen Erteilungspraxis des Patentamts – hier hinsichtlich § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 PatG – ist nicht geeignet, ein Rechtsschutzbedürfnis zu begründen (Fortführung von BGH, Beschluss vom 17. April 1997 – X ZB 10/96, GRUR 1997, 615 – Vornapf).

BGH, I ZR 135/18 – uploaded III

BGH, Urteil vom 2. Juni 2022 – I ZR 135/18 – uploaded III

Amtliche Leitsätze:

a) Ergreift der Betreiber einer Sharehosting-Plattform, obwohl er vom Rechtsinhaber darauf hingewiesen wurde, dass ein geschützter Inhalt über seine Plattform rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht wurde, nicht unverzüglich die erforderlichen Maßnahmen, um den Zugang zu diesem Inhalt durch Löschung oder Sperrung zu verhindern, nimmt er selbst eine öffentliche Wiedergabe im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG vor. Für den durch Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29/EG vollharmonisierten Bereich tritt mithin die Haftung als Täter an die Stelle der bisherigen Störerhaftung (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 22. Juni 2021 – C-682/18 und C-683/18, GRUR 2021, 1054 Rn. 85 und 102 = WRP 2021, 1019 – YouTube und Cyando).

b) Die schon bisher für die Störerhaftung geltenden, an den Hinweis auf eine klare Rechtsverletzung zu stellenden Anforderungen sind auf die Prüfung der öffentlichen Wiedergabe übertragbar.

c) Die zur täterschaftlichen Haftung des Betreibers einer Sharehosting-Plattform wegen einer öffentlichen Wiedergabe im Sinne von § 85 Abs. 1 Satz 1 Fall 3 UrhG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG führende Verletzung der durch einen Hinweis des Rechtsinhabers ausgelösten Prüfungspflicht umfasst neben der Pflicht zur unverzüglichen Verhinderung des Zugangs zur konkret beanstandeten Datei und zu weiteren, im Zeitpunkt der Beanstandung bereits hochgeladenen gleichartigen rechtsverletzenden Inhalten auch die Pflicht zur Vorsorge, dass es künftig nicht zu weiteren gleichartigen Rechtsverletzungen kommt.

BGH, X ZR 53/20 – Datensendeleistung

BGH, Urteil vom 21. Juni 2022 – X ZR 53/20 – Datensendeleistung

Amtliche Leitsätze:

a) Eine Vorrichtung, die bestimmte Funktionen aufweist, ist durch eine Entgegenhaltung nur dann offenbart, wenn darin ein ausführbarer Weg aufgezeigt wird, sie herzustellen (Bestätigung von BGH, Urteil vom 6. April 2021 – X ZR 54/19, GRUR 2021, 1043 Rn. 40 – Cerdioxid).

b) Ausführbar ist eine technische Lehre grundsätzlich bereits dann, wenn der Fachmann mit Hilfe seines Fachwissens in der Lage ist, den in den Erzeugnisansprüchen beschriebenen Gegenstand herzustellen und diejenigen Verfahrensschritte auszuführen, die in den Verfahrensansprüchen bezeichnet sind (Bestätigung von BGH, Urteil vom 3. Februar 2015 – X ZR 76/13, GRUR 2015, 472 Rn. 36 – Stabilisierung der Wasserqualität; BGH, Urteil vom 29. März 2022 – X ZR 16/20, GRUR 2022, 813 Rn. 69 – Übertragungsleistungssteuerungsverfahren). Hierzu
ist nicht zwingend erforderlich, dass alle in der Beschreibung geschilderten Vorteile verwirklicht werden.

c) Wenn eine Entgegenhaltung für bestimmte Betriebssituationen eine Verringerung der Sendeleistung auf mehreren Kanälen und die Umsetzung dieses Befehls innerhalb einer bestimmten Zeitspanne vorsieht, kann aus der ergänzenden Vorgabe, auf einem bestimmten Kanal mit der vorgegebenen Leistung zu senden, nicht ohne weiteres die Schlussfolgerung gezogen werden, dass diese Anweisung innerhalb einer kürzeren Zeitspanne umzusetzen ist.

BGH, X ZR 73/20 – Oberflächenbeschichtung

BGH, Urteil vom 12. April 2022 – X ZR 73/20 – Oberflächenbeschichtung

Amtliche Leitsätze:

a) Bei gewerblicher Entwicklungs- oder Erprobungstätigkeit, bei der ein betriebliches Interesse daran besteht, die dabei entstehenden Kenntnisse nicht nach außen dringen zu lassen, ist im Regelfall und ohne Hinzutreten besonderer Umstände die öffentliche Zugänglichkeit der gewonnenen Kenntnisse zu verneinen. Dies gilt jedenfalls so lange, wie die Kenntnisse nur solchen Personen zugänglich sind, die an dieser Entwicklungs- und Erprobungstätigkeit beteiligt sind, aber auch dann, wenn die Herstellung oder einzelne Herstellungsschritte auf Dritte übertragen werden (Bestätigung von BGH, Urteil vom 14. Mai 2019 – X ZR 93/17, Rn. 34; Urteil vom 10. November 1998 – X ZR 137/94, Mitt. 1999, 362, juris Rn. 35 – Herzklappenprothese).

b) Informationen, die nicht unter den Begriff des Geschäftsgeheimnisses im Sinne von § 2 Nr. 1 GeschGehG fallen, sind nicht ohne weiteres als der Öffentlichkeit zugänglich im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 2 PatG anzusehen.

BGH, I ZR 1/19 – Front kit II

BGH, Urteil vom 10. März 2022 – I ZR 1/19 – Front kit II

Amtliche Leitsätze:

a) Durch die Veröffentlichung der Fotografie eines Fahrzeugs wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einem Bauelement des Fahrzeugs als komplexem Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 GGV der Öffentlichkeit gemäß Art. 11 GGV zugänglich gemacht, sofern die Erscheinungsform dieses Bauelements eindeutig erkennbar ist (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 – C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rn. 52] = WRP 2022, 42 – Ferrari).

b) Die Erscheinungsform des Bauelements hat Eigenart im Sinne von Art. 6 Abs. 1 GGV, wenn es einen sichtbaren Teilbereich des Fahrzeugs darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist. Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform des Bauelements geeignet sein muss, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht (Anschluss an EuGH, Urteil vom 28. Oktober 2021 – C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rn. 50] = WRP 2022, 42 – Ferrari). Auf die Merkmale einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form kommt es nicht an.

BGH, I ZR 214/20 – Dr. Stefan Frank

BGH, Urteil vom 21. April 2022 – I ZR 214/20 – Dr. Stefan Frank

Amtliche Leitsätze:

a) Für die Beurteilung, ob Verträge über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik und deren Verlag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht.

b) Die in Form Allgemeiner Geschäftsbedingungen in einem Vertrag über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik vorgesehene Verpflichtung zum Abschluss eines Verlagsvertrags unterliegt nach § 8 AGBG aF (jetzt: § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB) als privatautonome Gestaltung des vertraglichen Leistungsprogramms nicht der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle.

BGH, X ZR 18/20 – Fahrerlose Transporteinrichtung

BGH, Urteil vom 15. März 2022 – X ZR 18/20 – Fahrerlose Transporteinrichtung

Amtliche Leitsätze:

a) Die Beklagte eines Patentnichtigkeitsverfahrens hat in der Regel keinen Anlass zur Stellung von Hilfsanträgen zur Abgrenzung vom Stand der Technik, wenn das Patentgericht in dem nach § 83 Abs. 1 PatG erteilten Hinweis die vorläufige Auffassung äußert, der Gegenstand des Streitpatents sei patentfähig.

b) Legt die Klägerin nach einem solchen Hinweis eine Vielzahl neuer Entgegenhaltungen vor, muss die Beklagte überprüfen, ob das ergänzende Vorbringen zu einer anderen Beurteilung führen könnte, und gegebenenfalls auch geeignete Hilfsanträge stellen. Wenn sich hierbei eine Vielzahl von technischen Gesichtspunkten als potentiell relevant erweist, kann es aber nicht ohne weiteres als nachlässig angesehen werden, wenn die Beklagte einem einzelnen Gesichtspunkt durch ihre erstinstanzlichen Hilfsanträge nicht Rechnung getragen hat.

c) Hilfsanträge, die einer aus dem erstinstanzlichen Urteil ersichtlichen Auslegung des Streitpatents Rechnung tragen sollen, sind grundsätzlich innerhalb der Frist für die Berufungsbegründung zu stellen. Später gestellte Anträge sind zu berücksichtigen, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.

BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – X ZR 102/19 – Aminosäureproduktion

BGH, Urteil vom 22. Februar 2022 – X ZR 102/19 – Aminosäureproduktion

Amtliche Leitsätze:

a) Die Frage, ob ein Patentlizenzvertrag dem Begünstigten die Stellung eines ausschließlichen Lizenznehmers einräumt, ist nach dem Recht des Staates zu beurteilen, für den der Patentschutz geltend gemacht wird.

b) Die rückwirkende Vereinbarung einer ausschließlichen Patentlizenz mit Wirkung gegenüber Dritten ist außerhalb von gesetzlich vorgesehenen Rückwirkungstatbeständen grundsätzlich ausgeschlossen.

c) Eine wegen fehlender Vertretungsmacht unwirksame Vereinbarung über die Einräumung einer ausschließlichen Patentlizenz kann gemäß § 177 Abs. 1 und § 184 Abs. 1 BGB mit rückwirkender Kraft genehmigt werden.

d) Wird dem Lizenznehmer in einem Patentlizenzvertrag das Recht eingeräumt, Rechte aus einer Verletzung des Schutzrechts in eigener Verantwortung zu verfolgen und übt der Lizenznehmer im Anschluss an den Vertragsschluss die mit einer ausschließlichen Lizenz verbundenen Rechte aus, ist die Vereinbarung regelmäßig als Einräumung einer ausschließlichen Lizenz auszulegen.