BGH, X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

BGH, Urteil vom 23. April 2013 – X ZR 27/12 – Fahrzeugnavigationssystem

Amtlicher Leitsatz:

Die Anweisung an den Fachmann, bei der Sprachausgabe eines Navigationshinweises unter bestimmten Bedingungen bestimmte Detailinformationen (hier: Straßennamen) zu berücksichtigen, betrifft den Inhalt der durch das Navigationssystem optisch oder akustisch wiedergegebenen Information und ist bei der Prüfung der technischen Lehre des Patents auf erfinderische Tätigkeit nicht zu berücksichtigen.

Aus der Urteilsbegründung:

Ein Navigationsverfahren oder -system implementiert mit technischen Mitteln die Wiedergabe von Informationen, die dem Fahrer die Wahl einer zweckmäßigen Fahrtroute zu seinem Ziel erlauben und es ihm erleichtern, der gewählten Fahrtroute zu folgen, indem ihm zu einem geeigneten Zeitpunkt Detailinformationen über die nächstfolgende Entscheidungssituation zur Verfügung gestellt werden. Es steuert nicht das Fahrzeug, sondern stellt nur dafür zweckmäßige Informationen bereit. Die Wiedergabe von Informationen ist nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. d 3 EPÜ als solche (Art. 52 Abs. 3 EPÜ) ebenso wenig dem Patentschutz zugänglich wie dieser nach Art. 52 Abs. 2 Buchst. c EPÜ für Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche in Betracht kommt. Anweisungen, die die Informationen betreffen, die nach der Lehre eines Patents wiedergegeben werden sollen, können daher auch unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit die Patentfähigkeit der erfindungsgemäßen Lehre nur dann und nur insoweit stützen, als sie die Lösung eines technischen Problems mit technischen Mitteln bestimmen oder zumindest beeinflussen (BGH, Beschluss vom 24. Mai 2004 – X ZB 20/03, BGHZ 159, 197, 204, 206 – Elektronischer Zahlungsverkehr; Urteil vom 26. Oktober 2010 – X ZR 47/07, GRUR 2011, 125 Rn. 31 – Wiedergabe topografischer Informationen). Der Senat hat deshalb in dem letztgenannten Urteil die Auswahl einer für Navigationszwecke zweckmäßigen Projektion topographischer Daten nicht als Teil der vom dortigen Streitpatent zur Verfügung gestellten technischen Lösung, sondern als dieser vorgelagerte Vorgabe eines Kartographen, Geographen oder Geodäten angesehen (BGH, GRUR 2011, 125 Rn. 39 – Wiedergabe topografischer Informationen). Ebenso hat er für die Zurverfügungstellung von Informationen über gegebenenfalls zu meidende Streckenabschnitte (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 3/12, GRUR 2013, 275 Rn. 42 – Routenplanung) und die unter bestimmten Voraussetzungen vom Navigationssystem automatisch vorgenommene Auswahl des Stadtzentrums als Routenzielpunkt (BGH, Urteil vom 18. Dezember 2012 – X ZR 121/11, juris Rn. 29) entschieden.

BPatG, 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

BPatG, Urt. v. 15. Januar 2013 – 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

1. Erschöpft sich die patentgemäße Lösung nur in der handwerklichen Maßnahme, eine bekannte, technisch weniger anspruchsvolle Lösung – hier einer Querschnittsverringerung des Dichtungsrings – hinzunehmen bzw. der technisch anspruchsvolleren Lösung hinzuzufügen, so begründet ein solcher in Kauf genommener „handwerklicher Rückschritt“ ebenso wenig eine erfinderische Tätigkeit wie eine nur handwerkliche Weiterbildung des Standes der Technik.

2. Der Sachprüfung eines im Nichtigkeitsverfahren angegriffenen Unteranspruchs bedarf es nur – was vorrangig zu klären ist und wofür in der Rechtsprechung Auslegungsregeln entwickelt worden sind – wenn der Wille des Patentinhabers auf dessen (isolierte) Verteidigung gerichtet ist.

3. Anders als bei der Verteidigung des Streitpatents durch Neuformulierung eines Patentanspruchs mittels Aufnahme von Merkmalen aus verfahrensgegenständlichen Patentansprüchen, welche immer oder jedenfalls dann einer eigenständigen Sachprüfung bedürfen, wenn der Patentinhaber sie isoliert verteidigt, bietet die mögliche Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung keinen Anlass für eine vorsorgliche Beschäftigung und Recherche durch die Klägerin. Eine derartige Forderung würde die der Klägerin obliegende Prozessförderungspflicht auch vor dem Hintergrund des von § 83 PatG intendierten besonderen Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erheblich überspannen und andererseits die Beklagte über Gebühr von ihrer entsprechenden Verpflichtung entlasten.

BPatG, 25 W (pat) 89/12: Funktionelle Zuständigkeit in Bezug auf die Entscheidung über die Wiedereinsetzung bei versäumter Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr

BPatG, Beschl. v. 14. Mai 2013 – 25 W (pat) 89/12

Amtlicher Leitsatz:

Für die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag betreffend die versäumte Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr ist nicht der Rechtspfleger, sondern funktionell ausschließlich der Beschwerdesenat zuständig gemäß §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 bzw. §§ 66 Abs. 1, 67 Abs. 1 i.V.m. § 91 Abs. 6 MarkenG.

BPatG, 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

BPatG, Beschluss vom 23. Mai 2013 – 20 W (pat) 28/09 – Prüfungsbescheid in Nachanmeldung

Amtlicher Leitsatz:

Anders als im Falle einer Teilanmeldung, die in der Verfahrenslage weitergeführt wird, in der sich zum Zeitpunkt der Ausscheidung die Stammanmeldung befand und infolgedessen die bis dahin erlassenen Bescheide auch als in der Teilanmeldung erlassen anzusehen sind, ist es im Rahmen einer völlig eigenständigen Anmeldung, die die innere Priorität einer Voranmeldung in Anspruch nimmt, unzulässig, in Bescheiden lediglich auf in der
Voranmeldung erlassenen Bescheide zu referenzieren und eine detaillierte Angabe von
möglichen Gründen, die der Patentierung gemäß § 45 PatG entgegenstehen könnten, zu
unterlassen.

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – X ZR 137/09 – Sachverständigenentschädigung VI

BGH, Beschluss vom 28. Mai 2013 – X ZR 137/09 – Sachverständigenentschädigung VI

Amtliche Leitsätze:

a) Die Parteien können sich auch nach Heranziehung eines Sachverständigen mit einer abweichend von der gesetzlichen Regelung zu bemessenden Vergütung wirksam einverstanden erklären, wenn ein ausreichender Betrag für die sich daraus ergebende Vergütung an die Staatskasse gezahlt ist.

b) Insoweit genügt die Erklärung nur einer Partei, soweit sie sich auf den Stundensatz nach § 9 JVEG bezieht und das Gericht zustimmt, wobei über die Zustimmung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden ist und hierbei

Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich im Verfahren X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe mit den Formerfordernissen für die Übertragung des Prioritätsrechts zu befassen, wenn die Priorität einer nationalen Erstanmeldung für eine europäische Nachanmeldung in Anspruch genommen wird.

Nach der BGH-Entscheidung sind die Formerfordernisse, denen die Übertragung des Prioritätsrechts unterliegt, nach dem Forderungsstatut (Art. 33 Abs. 2 EGBGB in der bis zum 17.12.2009 geltenden Fassung bzw. nunmehr Art. 14 Abs. 2 Rom-I-VO) zu bestimmen. Dies führt dazu, dass die Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts dem Recht des Staats der Erstanmeldung unterliegen. Entsprechend ist die Übertragung des Rechts auf Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Patentanmeldung auch dann nicht formbedürftig, wenn die Priorität für eine europäische Patentanmeldung in Anspruch genommen werden soll (Leitsatz 1).

Die Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe grenzt sich dezidiert von der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 ab. In der Entscheidung T 62/05 hatte die Beschwerdekammer für den Fall einer europäischen Nachanmeldung gefordert, dass die Übertragung des Prioritätsrechts den Formerfordernissen des Art. 72 EPÜ genügen muss, also der Schriftform unterliegt und von beiden Vertragsparteien unterschieben sein muss. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 führt zur Anwendbarkeit der Formerfordernisse des Rechts, dem die Nachanmeldung unterliegt, und nicht – wie nunmehr die BGH-Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe – zur Anwendbarkeit des Rechts, dem die Erstanmeldung unterliegt. Die in der Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 aufgestellten Formerfordernisse für die Übertragung des Prioritätsrechts hatten sich insbesondere im Einspruchsverfahren zu einer scharfen Waffe für den Einsprechenden entwickelt, da beispielsweise die nach US-Recht nur vom Erfinder als Zedenten zu unterschreibende Übertragungserklärung regelmäßig nicht der Formvorschrift des Art. 72 EPÜ genügt und eine Heilung nach Einreichung der Nachanmeldung nicht mehr möglich war. Die Beschwerdekammer-Entscheidung T 62/05 wurde in der Literatur auch stark kritisiert (vgl. T. Bremi: ‚Traps when transferring priority rights, or When in Rome do as the Romans do: A discussion of some recent European and national case law and its practical implications.‘ In: epi Information, 1/2010).

Der Patentanmelder wird dennoch gut beraten sein, das Prioritätsrecht auch weiterhin so zu übertragen, dass die Übertragung den Formvorschriften des Art. 72 EPÜ genügt. So lange das Risiko besteht, dass eine Beschwerdekammer ein europäisches Patent im Einspruchsbeschwerdeverfahren wegen nicht wirksamer Inanspruchnahme der Priorität widerruft, ist es nur ein schwacher Trost, dass der BGH in einem etwaigen Nichtigkeitsverfahren basierend auf den in der Entscheidung X ZR 49/12 – Fahrzeugscheibe aufgestellten Grundsätzen anders entschieden hätte.

BPatG, 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

BPatG, Entscheidung v. 15. Januar 2013 – 4 Ni 13/11 – Dichtungsring

Amtliche Leitsätze:

1. Erschöpft sich die patentgemäße Lösung nur in der handwerklichen Maßnahme, eine bekannte, technisch weniger anspruchsvolle Lösung – hier einer Querschnittsverringerung des Dichtungsrings – hinzunehmen bzw. der technisch anspruchsvolleren Lösung hinzuzufügen, so begründet ein solcher in Kauf genommener „handwerklicher Rückschritt“ ebenso wenig eine erfinderische Tätigkeit wie eine nur handwerkliche Weiterbildung des Standes der Technik.

2. Der Sachprüfung eines im Nichtigkeitsverfahren angegriffenen Unteranspruchs bedarf es nur – was vorrangig zu klären ist und wofür in der Rechtsprechung Auslegungsregeln entwickelt worden sind – wenn der Wille des Patentinhabers auf dessen (isolierte) Verteidigung gerichtet ist.

3. Anders als bei der Verteidigung des Streitpatents durch Neuformulierung eines Patentanspruchs mittels Aufnahme von Merkmalen aus verfahrensgegenständlichen Patentansprüchen, welche immer oder jedenfalls dann einer eigenständigen Sachprüfung bedürfen, wenn der Patentinhaber sie isoliert verteidigt, bietet die mögliche Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung keinen Anlass für eine vorsorgliche Beschäftigung und Recherche durch die Klägerin. Eine derartige Forderung würde die der Klägerin obliegende Prozessförderungspflicht auch vor dem Hintergrund des von § 83 PatG intendierten besonderen Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erheblich überspannen und andererseits die Beklagte über Gebühr von ihrer entsprechenden Verpflichtung entlasten.

BGH, X ZB 15/12 – Patentstreitsache II

BGH, Beschluss vom 20. März 2013 – X ZB 15/12 – Patentstreitsache II

Amtliche Leitsätze:

a) Bei der Honorarklage eines Rechts- oder Patentanwalts handelt es sich nicht notwendigerweise schon deswegen um eine Patentstreitsache, weil der Gegenstand des zugrunde liegenden Auftrags sich auf eine Erfindung bezogen oder ein Patent oder eine Patentanmeldung betroffen hat.

b) Dies ist vielmehr dann nicht der Fall, wenn zur Beurteilung der Frage, ob die Honorarforderung berechtigt ist, das Verständnis der Erfindung keine Rolle spielt und es deshalb keines besonderen Sachverstands bedarf, um die für die Entgeltung der dem Anwalt übertragenen Erwirkung eines technischen Schutzrechts maßgeblichen Umstände erfassen und beurteilen zu können.

Aus den Entscheidungsgründen:

Wie der Senat mit Beschluss vom 22. Februar 2011 (X ZB 4/09, GRUR 2011, 662 Patentstreitsache) entschieden hat, zählen zu den Patentstreitsachen alle Klagen, die einen Anspruch auf eine Erfindung oder aus einer Erfindung zum Gegenstand haben oder sonstwie mit einer Erfindung eng verknüpft sind. Hierzu können insbesondere Klagen gehören, deren Anspruchsgrundlage sich aus einem Patent oder einer nicht geschützten Erfindung ergibt, sowie solche, deren Ansprüche auf einem Lizenz oder sonstigem Verwertungsvertrag beruhen (BGH, Urteil vom 7. November 1952 I ZR 43/52, BGHZ 8, 16, 18). Die Prozessökonomie und das Interesse der Parteien, ihren eigentlichen Streit verhandelt und entschieden zu wissen, gebietet, eine Patentstreitsache anzunehmen, wenn die Voraussetzungen für eine enge Verknüpfung mit einer Erfindung hinreichend dargestellt und erkennbar werden, woraus sich in der Praxis eine weite Auslegung des Begriffs der Patentstreitsache ergibt. Bei Klagen, deren Anspruchsgrundlage sich nicht aus dem Patentgesetz ergibt und bei denen das den Klagegrund bildende Rechtsverhältnis auch keine sonstige Regelung durch das Patentgesetz erfährt, sind Sinn und Zweck der Zuständig-keit gemäß § 143 PatG zu beachten. Es soll damit gewährleistet werden, dass sowohl das Gericht als auch die zur Vertretung einer Partei berufenen und die bei der Prozessvertretung mitwirkenden Anwälte über besonderen Sachverstand verfügen, um die technische Lehre einer Erfindung und die für ihr Verständnis und die Bestimmung ihrer Reichweite maßgeblichen tatsächlichen Umstände erfassen und beurteilen zu können. An dieser Rechtfertigung fehlt es, wenn das den Streitgegenstand bildende Rechtsverhältnis ausschließlich Anspruchsvoraussetzungen und sonstige Tatbestandsmerkmale aufweist, für deren Beurteilung das Gericht und die Prozessvertreter der Parteien keines solchen Sachverstands bedürfen.

EU-Patent nimmt nächste Hürde – Verstärkte Zusammenarbeit rechtens

Wie Juve berichtet, hat am 16. April 2013 der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die verstärkte Zusammenarbeit im Bereich des Patentrechts  im Einklang mit Unionsrecht ist.

Italien und Spanien hatten gegen die verstärkte Zusammenarbeit geklagt, da diese Länder in erster Linie nicht mit der Sprachenregelung für das geplante EU-Patent einverstanden sind.

Durch die Entscheidung des EuGH ist wieder eine Hürde auf dem Weg zum EU-Patent aus dem Weg geräumt. Das EU-Patent kann bereits im Jahre 2014 in Kraft treten, wenn es mindestens 13 Mitgliedsstaaten inklusive Deutschland, Frankreich und Großbritannien ratifiziert haben.