BGH, X ZB 6/10 – Installiereinrichtung II: Zur Bewertung der Erfindungshöhe

BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – X ZB 6/10

Amtlicher Leitsatz:

In welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln [-> erfinderische Tätigkeit] ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert. Dabei sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann beachtlich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbesondere betreffend die Ausbildung von Fachleuten, die übliche Vorgehensweise bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden Gegenstands ergeben und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen.

BGH, ZR 150/09 – Basler Haar-Kosmetik: Störerhaftung des Admin-C

Hier nun die amtlichen Leitsätze zu dem bereits erwähnten Urteil des BGH vom 9. November 2011 – I ZR 150/09 – Basler Haar-Kosmetik, in dem der BGH unter besonderen Umständen des Einzelfalls eine Haftung des Admin-C für die Registrierung eines rechtsverletzenden Domainnames angenommen hat. Das Ausmaß von Störerhaftung und Prüfungspflichten des Admin-C ist in Rechtsprechung und Kommentierung umstritten.

a) Der Namensschutz aus § 12 BGB bleibt neben dem Kennzeichenschutz
aus §§ 5, 15 MarkenG anwendbar, wenn mit der Löschung des Domainnamens eine Rechtsfolge begehrt wird, die aus kennzeichenrechtlichen Vorschriften deswegen nicht hergeleitet werden kann, weil das Halten des Domainnamens im konkreten Fall für sich gesehen die Voraussetzungen einer Verletzung der Marke oder des Unternehmenskennzeichens des Klägers nicht erfüllt (Fortführung von BGH, GRUR 2005, 430 – mho.de; BGH, GRUR 2008, 1099 – afilias.de).

b) Derjenige, der sich von einem ausländischen Anmelder eines Domainnamens
gegenüber der DENIC als administrativer Ansprechpartner (Admin-C) benennen und registrieren lässt, haftet nicht schon deswegen als Störer für mögliche mit der Registrierung verbundene Verletzungen von Rechten Dritter.

c) Eine Prüfungspflicht kann sich jedoch aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergeben. Solche gefahrerhöhenden Umstände liegen vor, wenn der im Ausland ansässige Anmelder freiwerdende Domainnamen jeweils in einem automatisierten Verfahren ermittelt und registriert und der Admin-C sich dementsprechend pauschal bereiterklärt hat, diese Funktion für eine große Zahl von Registrierungen zu übernehmen.

1000+

Erstmals haben an einem Tag mehr als 1000 eindeutige Besucher die Website ipwiki.de aufgerufen. Am 18. Januar 2012 wurden 1039 Besucher gemessen. Die Beobachtung zeigt, dass auf das jährliche Besuchertief an Weihnachten und in den Zwischentagen die Besucherzahl in der Regel Mitte Januar einen deutlichen Sprung nach oben macht und eine Messlatte für das darauf folgende Jahr setzt.

Wie die nachstehende Übersicht zeigt, steigen die Besucherzahlen seit dem Start im Januar 2007 relativ stetig an.

Wie zu bemerken war, hat ipwiki.de kurz vor dem Jahreswechsel ein neues Design bekommen. Die Eintrittsseiten weisen nun eine neue und hoffentlich stringente Struktur auf. Hinweisen möchten wir zudem auf die neuen Seiten zum geplanten einheitlichen europäischen Patent, dem wir sowohl hier auf ipweblog.de als auch auf ipwiki.de vermehrte Aufmerksamkeit schenken.

Äquivalente Verletzung revisited

In diesem Beitrag soll etwas ausführlicher zu der bereits in der Leitsatzrubrik zitierten Entscheidung Diglycidverbindung Stellung genommen werden. In dieser Entscheidung äußert sich der BGH erneut zur Frage des Schutzbereichs nach der Äquivalenzlehre. Die in der Entscheidung Okklusionsvorrichtung (BGH, X ZR 16/09) aufgestellten Grundsätze zur äquivalenten Verletzung werden dabei weiter konkretisiert.

Zum Sachverhalt (aus Sicht eines Nichtchemikers): Beansprucht wird ein Verfahren mit mehreren Schritten. Einer der Schritte (Epoxidation) soll nach dem Anspruch mit einer bestimmten Klasse von Verbindungen durchgeführt werden. Diese Klasse von Verbindungen hat nach Feststellung des Berufungsgerichts „keine weitergehenden Auswirkungen auf die Qualität des Produkts“. Die Anmeldung offenbart mehrere Varianten, mit denen der Epoxidationsschritt durchgeführt werden kann, ohne dass die im Anspruch genannte Klasse von Verbindungen verwendet wird.

Der BGH führt zur Frage der äquivalenten Verletzung in Rz. 45 des Urteils aus, dass daraus, „dass in der Beschreibung zwei mögliche Wege zur Herstellung einer mit Epoxidgruppen versehenen organische Festphase aufgezeigt werden, in Patentanspruch 1 aber nur einer dieser Wege unter Schutz gestellt wird, zu folgern [ist], dass der Schutz auf diese Variante beschränkt“ sei.

Somit erfahren die Kriterien der Äquivalenzprüfung, wie sie beispielsweise in den Schneidmesser- und Custodiol-Entscheidungen aufgestellt wurden, eine Modifizierung:
1. Falls die Verletzungsform identisch zu einem in der Anmeldung offenbarten Ausführungsbeispiel ist, das nicht mehr vom Wortsinn der Ansprüche umfasst wird, ist eine äquivalente Verletzung zu verneinen.
2. Falls die Verletzungsform den Anspruch nicht wortsinngemäß verletzt, aber auch nicht einem in der Anmeldung offenbarten Ausführungsbeispiel entspricht, das nicht mehr vom Wortsinn der Ansprüche umfasst wird, soll es darauf ankommen, ob das entsprechende Merkmal der Verletzungsform die spezifische Wirkung des Anspruchsmerkmals erreicht. Anders ausgedrückt soll es wohl darauf ankommen, dass das Merkmal der Verletzungsform dem nicht wortsinngemäß verwirklichten Anspruchsmerkmal in seiner spezifischen Wirkung näher kommt als der Wirkung, die die entsprechenden Merkmale bei den ursprünglich offenbarten, aber nicht mehr von den Ansprüchen abgedeckten Ausführungsbeispielen erreichen.

Nach diesen Grundsätzen wird der Äquivalenzbereich immer dann eingeschränkt, wenn während des Erteilungsverfahrens die Ansprüche so geändert werden mussten, dass nicht mehr alle ursprünglich offenbarten Ausführungsbeispiele von den erteilten Ansprüchen abgedeckt sind. Dies muss Bedenken begegnen, da der BGH bislang keine Differenzierung dahingehend vorgenommen hat, ob die Beschränkung des Äquivalenzbereichs nur dann erfolgt, wenn Stand der Technik eine entsprechend enge Anspruchsformulierung erforderlich gemacht hat (in diesem Fall stünde dem Verletzer in den relevanten Konstellationen aber sowieso der Formstandeinwand zur Verfügung), oder selbst dann, wenn der Patentinhaber beispielsweise aufgrund verfahrensrechtlicher Hürden (für Beispiele siehe diesen früheren Beitrag zur Entscheidung Okklusionsvorrichtung) unverschuldet keine Chance hatte, für alle Ausführungsbeispiele Schutz zu erlangen.

Berufsrecht – Zulassung von Patentanwaltsgesellschaften

Der Bundesgerichtshof konnte sich im Verfahren PatAnwZ 1/10 zu den Zulassungsbedingungen für Patentanwaltsgesellschaften äußern. Dabei handelt es sich um das erste Verfahren seit mehreren Jahren und insbesondere seit Neufassung der PAO, das Fragen der Zulassung von Patentanwaltsgesellschaften betrifft.

Wichtige Punkte der Entscheidungsgründe können wie folgt zusammengefasst werden:

– Der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft steht nicht entgegen, wenn die Satzung den Unternehmensgegenstand so definiert, dass er sich auch auf die als sozietätsfähig anerkannten Berufe erstreckt (hier: „Übernahme und Ausführung von Aufträgen, die zur Berufstätigkeit von Rechtsanwälten gehören“). Es wird jedoch klargestellt, dass im Falle der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft unabhängig von der Regelung des Unternehmensgegenstands in der Satzung die Gesellschaft nicht über den Tätigkeitsbereich eines Patentanwalts hinaus rechtsberatend tätig werden darf.

– Im Zulassungsverfahren ist die Einhaltung der § 52c und § 52e PAO anhand des Gesellschaftsvertrags bzw. der Satzung zu beurteilen. Denn zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Zulassung der Patentanwaltsgesellschaft kann nur der Gesellschaftsvertrag, nicht das geplante Verhalten der Gesellschafter, gesicherte Grundlage für die Beurteilung der Zulassungsfähigkeit sein.

– Schließt die Satzung eine Beteiligung an Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung nicht aus, ermöglicht die Satzung einen Verstoß gegen die gesetzlichen Vorschriften (hier § 52c Abs. 2 PAO). Ob ein derartiger Verstoß derzeit beabsichtigt ist, hat bei der Prüfung außer Betracht zu bleiben.

– Ähnlich steht der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft auch entgegen, wenn die Satzung nicht sicherstellt, dass auch in Zukunft (beispielsweise bei Veräußerung eines Geschäftsanteils) die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte Patentanwälten zusteht (§ 52e Abs. 2 PAO).

– Der Zulassung als Patentanwaltsgesellschaft steht schließlich auch entgegen, wenn ein Geschäftsführer, der nicht Patentanwalt ist, allein vertretungsbefugt ist. Nach Auffassung des Senats, die dieser auf die Gesetzesbegründung stützt, kann Geschäftsführern, die nicht Patentanwälte sind, allenfalls Gesamtvertretungsmacht zusammen mit patentanwaltlichen Geschäftsführern eingeräumt werden.

Die Antragstellerin brachte vor, dass die Regelungen der § 52e Abs. 2 und § 52f Abs. 1 PAO wegen Grundrechtsverstoßes nichtig seien. Der Senat für Patentanwaltssachen wies dieses Vorbringen unter Verweis auf die Entscheidung in der Zulassungssache AnwZ (Brfg) 1/10 zurück.

EU: Unionspatent „im Kasten“?

Aus der Pressemeldung „Done deal on the EU patent?“ des europäischen Parlaments vom 1. Dez. 2011:

Rechtsausschuss und Ratspräsidentschaft haben eine weitgehende Einigung zu den Plänen zum neuen Unionspatent gefunden. In dem Meeting am 19. und 20. Dezember wird der Rechtsausschuss über den Vorschlag abstimmen. Das auf einer verstärkten Zusammenarbeit im Bereich eines einheitlichen Patentschutzes basierende Unionspatent soll 2014 in Kraft treten.

BGH, I ZR 216/10: Erbe des Architekten ./. Stuttgart 21

Aus der Pressemitteilung Nr. 186/2011 des Bundesgerichtshof:

Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im Rechtsstreit zwischen einem Erben des Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs und der Deutschen Bahn AG die Nichtzulassungsbeschwerde des klagenden Erben zurückgewiesen. Mit seiner Beschwerde wollte der Kläger erreichen, dass der Bundesgerichtshof die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 6. Oktober 2010 zulässt und über den Fall verhandelt.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist nach einem Entwurf von Prof. Dipl.-Ing. Paul Bonatz aus dem Jahre 1911 gestaltet worden. Diese Gestaltung ist urheberrechtlich geschützt [§ 2 (1) Nr. 4 UrhG -> Werke der Baukunst]. Urheberrechtsschutz besteht, nachdem der Architekt im Jahre 1956 verstorben ist, noch bis Ende des Jahres 2026. Die im Rahmen des Infrastrukturprojekts „Stuttgart 21“ vorgelegte Planung der Deutschen Bahn AG sieht den Abriss der Seitenflügel und der Treppenanlage in der großen Schalterhalle vor. Einer dieser Seitenflügel ist bereits im Jahre 2010 abgerissen worden. Der Kläger sieht durch diesen, teilweise bereits vollzogenen Teilabriss des Bahnhofsgebäudes die Urheberpersönlichkeitsrechte von Paul Bonatz beeinträchtigt. Mit der Klage will er den Wiederaufbau des Nordwest-Flügels erreichen sowie den Abriss des Südost-Flügels und der Treppenanlage verhindern. Sowohl das Landgericht als auch das Oberlandesgericht Stuttgart haben die Klage abgewiesen. Die Revision war vom Oberlandeslandesgericht nicht zugelassen worden.

Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts bestätigt und entschieden, dass Gründe für eine Zulassung der Revision nicht vorliegen. Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen waren vorliegend nicht erfüllt. Die maßgeblichen Rechtsfragen, die sich in dem Verfahren gestellt haben, hat der Bundesgerichtshof bereits in früheren Entscheidungen geklärt. Das Urteil des Oberlandesgerichts ließ auch keine Rechtsfehler erkennen, die eine Zulassung der Revision erfordert hätten.

Aus der Entscheidungsbegründung BGH, Beschluss v. 9. November 2011 – I ZR 216/10:

Die von der Beschwerde als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage, ob im Rahmen der gebotenen Abwägung der betroffenen Interessen des Urhebers einerseits und des Eigentümers andererseits den urheberpersönlichkeitsrechtlichen Interessen des Urhebers nach seinem Tode ein geringeres Gewicht als zu seinen Lebzeiten beigemessen werden kann, ist bereits geklärt. Der Senat hat entschieden, dass die Urheberinteressen Jahre oder Jahrzehnte nach dem Tod des Urhebers nicht notwendig dasselbe Gewicht haben wie zu seinen Lebzeiten (Urteil vom 13. Oktober 1988 – I ZR 15/87, GRUR 1989, 106, 107 – Oberam-mergauer Passionsfestspiele II). Daran hat der Senat in seiner jüngeren Recht-sprechung festgehalten (Urteil vom 19. März 2008 – I ZR 166/05, GRUR 2008, 984 Rn. 29 = WRP 2008, 1440 – St. Gottfried).

Ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung hat die Frage, ob im Rahmen der Interessenabwägung solche Planungsalternativen zu berücksichtigen sind, die für den Urheber weniger einschneidende Folgen haben. Auch diese Frage ist bereits geklärt. Der Senat hat wiederholt entschieden, dass der Eigentümer eines urheberrechtlich geschützten Bauwerks, der sich zu Änderungen genötigt sieht, zwar grundsätzlich eine den betroffenen Urheber in seinen persönlichkeitsrechtlichen Interessen möglichst wenig berührende Lösung suchen muss. Hat er sich jedoch für eine bestimmte Planung entschieden, so geht es im Rahmen der Interessenabwägung nur noch darum, ob dem betroffenen Urheber die geplanten Änderungen des von ihm geschaffenen Bauwerks zuzumuten sind. Ob daneben noch andere, den Urheber gegebenenfalls weniger beeinträchtigende Lösungen denkbar sind, ist hierfür nicht von entscheidender Bedeutung (BGH, Urteil vom 31. Mai 1974 – I ZR 10/73, BGHZ 62, 331, 338 f. Schulerweiterung; GRUR 2008, 984 Rn. 39 – St. Gottfried).

Auch die von der Nichtzulassungsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Eigentümer im Rahmen der Interessenabwägung öffentliche Belange für sich reklamieren kann, hat keine grundsätzliche Bedeutung. Sie ist nicht klärungsbedürftig. Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei einem Werk der Baukunst im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere der Gebrauchszweck des Bauwerks zu berücksichtigen. Der Urheber eines Bauwerks weiß, dass der Eigentümer das Bauwerk für
einen bestimmten Zweck verwenden möchte. Er muss daher damit rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderung des Bauwerkes ergeben kann (BGHZ 62, 331, 335 – Schulerweiterung; BGH, GRUR 2008, 984 Rn. 38 – St. Gottfried). Danach sind öffentliche Interessen an der Veränderung eines öffentlichen Zwecken dienenden Bauwerks in die Interessenabwägung einzubeziehen, wenn diese öffentlichen Interessen zugleich eigene Interessen des Eigentümers sind.

§ 2 (1) Nr. 4 UrhG -> Werke der Baukunst

Fusion von patentweblog.de und ipweblog.de

Der von Patentanwalt Dr. Meyer-Wildhagen betriebene patentweblog und der von Patentanwalt Dr. Meggle-Freund betriebene ipweblog fusionieren und sind in Zukunft gemeinsam unter ipweblog.de im Netz zu finden. Der von ipweblog.de bekannte Leitsatz-Ticker mit Verweisen auf einschlägige Seiten aus ipwiki.de findet sich in Zukunft in der Rubrik Leitsätze. Es publizieren auf ipweblog.de nun die Autoren Dr. Martin Meggle-Freund, Dr. Florian Meyer und Dr. Frank Meyer-Wildhagen. Die Autoren freuen sich über Kommentare und Anregungen. Die Mitwirkung steht weiterhin allen engagierten Kollegen offen.

Rechtserhaltende Benutzung – § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG vs. EuGH Bainbridge

Der Bundesgerichtshof hat im Verfahren I ZR 84/09 dem EuGH mehrere Vorlagefragen vorgelegt, die die rechtserhaltende Benutzung betreffen.

Im Kern geht es um die Frage, ob eine Benutzungsform eines Zeichens (z.B. einer Wortmarke in einer bestimmten Gestaltung) für mehrere eingetragene Marken rechtserhaltend sein kann.

§ 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG ist insoweit eigentlich unmissverständlich: Eine eingetragene Marke kann durch Benutzung in einer abgewandelten Form, die den kennzeichnenden Charakter nicht verändert, rechtserhaltend benutzt werden, selbst wenn die abgewandelte Form ebenfalls als Marke eingetragen ist. Mit § 26 Marken wird Art. 10 der MarkenRL umgesetzt. Die Regelung des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG, die keine Entsprechung in der MarkenRL hat, war vom Gesetzgeber wohl als Klarstellung intendiert: Ein Markeninhaber sollte Abwandlungen (z.B. Modernisierung eines Schriftbilds einer Wort-Bild-Marke) einer eingetragenen Marke ebenfalls registrieren können und die Marke in der abgewandelten Form benutzen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, dadurch seine alte und deshalb wertvolle Marke wegen Nichtbenutzung zu verlieren.

Die Richtlinienkonformität des § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG wurde über lange Zeit weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung angezweifelt. Eine ausführliche Darstellung gibt Rdnr. 37 des PROTI-Beschlusses.

Kompliziert wurde die Lage durch die Bainbridge-Entscheidung des EuGH (Urteil v. 13. September 2007 C-234/06). Teilweise wurde aus dieser Entscheidung abgeleitet, dass § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG nicht richtlinienkonform sei und deswegen unangewendet zu bleiben habe (OLG Köln, GRUR 2009, 958). Andere Obergerichte konnten keinen Widerspruch zwischen der Bainbridge-Rechtsprechung und § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG erkennen (OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2011, 134). Eine detaillierte Darstellung wird unter Rdnr. 21 des Proti-Beschlusses gegeben. Das Spannungsverhältnis zwischen der Bainbridge-Entscheidung und § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG, das sich in der unterschiedlichen Auffassung der Berufungsgerichte widerspiegelt, hat den BGH zu dem sehr ausführlichen und differenzierten Vorlagebeschluss veranlasst. Wenig Zweifel besteht daran, dass der BGH eine Auslegung der MarkenRL, nach der § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG nicht richtlinienkonform ist, aus zeichenrechtlichen Überlegungen für wenig befriedigend halten würde.

Der Fall hat auch noch eine sehr interessante europarechtliche Komponente, die ebenfalls Gegenstand einer Vorlagefrage ist: Ist das Vertrauen des Markeninhabers in § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG schützenswert, auch wenn sich dieser als nicht unionsrechtskonform erweisen würde? Die Brisanz dieser Frage ergibt sich vorliegend auch daraus, dass die Unionsrechtskonformität von § 26 Abs. 3 S. 2 MarkenG bis zur Bainbridge-Entscheidung des EuGH nicht in Frage gestellt wurde. Entsprechend führt der BGH im PROTI-Beschluss aus (Rdnr. 37): „Das Vertrauen auf die Gültigkeit des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG für eingetragene Marken hält der Senat gegenüber einer richtlinienkonformen Auslegung gem. Art. 10 Abs. 2 Buchst. a MarkenRL, falls die Bestimmung des § 26 Abs. 3 Satz 2 MarkenG mit der Richtlinie nicht in Einklang steht, für so gewichtig, dass er die Bestimmung ihrem Wortlaut gemäß jedenfalls auf vor der Veröffentlichung der ‚BAINBRIDGE‘-Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union liegende Sachverhalte weiter anwenden möchte.“