Unentrinnbare Falle: BGH kontra Große Beschwerdekammer!?

Der BGH hat in der Entscheidung „Winkelmesseinrichtung“ (Xa ZB 14/09) über die Frage entschieden, wie nach deutschem Recht mit der sogenannten „unentrinnbaren Falle“ (Art. 123 (2), (3) EPÜ bzw. PatG & 21 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 ) umzugehen ist.

Kurz gesagt lässt es der BGH zu, dass ein nicht ursprünglich offenbartes Merkmal im Patentanspruch verbleibt, wenn es zu einer Einschränkung des Patentanspruches führt – vorausgesetzt, der derart beanspruchte Gegenstand ist nicht auf ein Aliud gerichtet. Laut BGH muss in diesem Fall nicht einmal ein Disclaimer aufgenommen werden, der klarstellt, dass aus dem ursprünglich nicht offenbarten Merkmale keine Rechte abgeleitet werden können.

Damit stellt sich der BGH in gewissem Sinne gegen die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer, die in derartigen Fällen (bis auf wenigen Ausnahmen) nur den vollständigen Widerruf vorsieht (s. auch G93/0001).

Leitsätze der Entscheidung:

PatG § 21 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2

  1. Ein Merkmal, das in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbart ist und dessen Streichung oder Ersetzung durch ein von der ursprünglichen Offenbarung gedecktes Merkmal zu einer Erweiterung des Schutzbereichs führen würde, kann im Patentanspruch verbleiben, wenn seine Einfügung zu einer Einschränkung gegenüber dem Inhalt der Anmeldung führt.
  2. Eine Einschränkung in diesem Sinne liegt vor, wenn das hinzugefügte Merkmal eine Anweisung zum technischen Handeln konkretisiert, die in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.
  3. Um in solchen Fällen sicherzustellen, dass aus der Einfügung des Merkmals Rechte nicht hergeleitet werden, bedarf es grundsätzlich nicht der Aufnahme eines entsprechenden Hinweises („disclaimer“) in die Patentschrift.

Aus den Gründen:

Weder aus § 21 Abs. 1 Nr. 4 noch aus § 22 Abs. 1 PatG kann abgeleitet werden, dass ein Patent stets zu widerrufen ist, wenn sein Gegenstand gegenüber dem Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen durch Aufnahme eines darin nicht offenbarten Merkmals eingeschränkt worden ist. Aus den genannten Vorschriften ergibt sich zwar, dass das Gesetz dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes gegenüber der Öffentlichkeit hohes Gewicht einräumt. Gemäß § 21 Abs. 2 PatG ist diesem Interesse aber schon dann hinreichend Rechnung getragen, wenn ein Verstoß gegen eines dieser Verbote durch entsprechende Beschränkung des Patents rückgängig gemacht wird. In der hier zu beurteilenden Situation kann dies dadurch geschehen, dass das nicht offenbarte einschränkende Merkmal im Anspruch verbleibt, bei der Prüfung der Patentfähigkeit aber jedenfalls insoweit außer Betracht zu lassen ist, als es nicht zur Stützung der Patentfähigkeit herangezogen werden darf. Schon damit ist sichergestellt, dass das Merkmal für die Bestimmung des Schutzbereichs maßgeblich bleibt, der Rechtsbestand des Patents aber nicht auf technische Anweisungen gestützt wird, die in der Anmeldung nicht als zur Erfindung gehörend offenbart sind. Eines Widerrufs des Patents bedarf es in dieser Konstellation folglich nicht.

Der Senat verkennt nicht, dass diese Lösung jedenfalls im theoretischen Ansatz nicht mit der Auffassung der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts in Einklang steht und in Fällen, in denen die Einfügung des Merkmals nicht zur Patentierung eines „Aliud“ geführt hat, zu abweichenden Ergebnissen führen kann. Er vermag der Auffassung der Großen Beschwerdekammer aber jedenfalls für den Anwendungsbereich von §§ 21 und 22 PatG nicht beizutreten. Die Große Beschwerdekammer hat gesehen, dass die von ihr vertretene Auffassung zu harten Folgen für den Anmelder führen kann (aaO ABl. EPA 1994, 541 = GRUR Int. 1994, 842 Rn. 13 – Beschränkendes Merkmal/Advanced Semiconductor Products). Sie sieht sich an einer abweichenden Lösung durch den verbindlichen Charakter von Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ gehindert. Diesem Gesichtspunkt kommt nach Auffassung des Senats jedenfalls für das deutsche Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zu.

Der Wortlaut des Patentgesetzes sieht für den Fall, dass die zur Ausräumung eines Widerrufs- oder Nichtigkeitsgrunds an sich erforderliche Streichung eines Merkmals aus dem Patentanspruch einen neuen Nichtigkeitsgrund entstehen ließe, weder in die eine noch in die andere Richtung eine ausdrückliche Regelung vor. Deshalb ist unter Rückgriff auf allgemeine Auslegungskriterien zu ermitteln, ob die unzulässige Einfügung des Merkmals gemäß § 21 Abs. 1 PatG zwingend zum vollständigen Widerruf führt oder ob den berechtigten Belangen der Öffentlichkeit nicht dadurch Genüge getan ist, dass – wie sich aus § 38 Abs. 2 PatG ergibt – aus der Änderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Diese Frage ist aus den bereits angeführten Gründen im zuletzt genannten Sinne zu entscheiden. Auch die Große Beschwerdekammer hält die Belassung eines in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht als zur Erfindung gehörend offenbarten Merkmals unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig. Dies bestätigt nach Auffassung des Senats, dass Art. 123 Abs. 1 und 2 EPÜ diesen Lösungsweg nicht kategorisch ausschließen.

BGH, I ZR 99/08 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer

BGH, Urteil vom 29. April 2010 – I ZR 99/08 – Preiswerbung ohne Umsatzsteuer

Amtliche Leitsätze:

a) Wer in einer an die Allgemeinheit gerichteten Werbung Preise für die von ihm beworbenen Gebrauchtfahrzeuge nennt, muss den Endpreis i.S. von § 1 Abs. 1 Satz 1 PAngV angeben. Er kann sich nicht darauf berufen, dass er mit privaten Letztverbrauchern keine Verträge schließt und deshalb die Vorschriften der Preisangabenverordnung nicht zur Anwendung kommen.

b) Die Relevanz einer irreführenden Werbung über den Endpreis braucht sich nicht in einem Umsatzgeschäft mit dem getäuschten Verbraucher niederzuschlagen. Sie kann sich auch daraus ergeben, dass die Werbung geeignet ist, Interessen der Mitbewerber zu beeinträchtigen, indem sie deren Preise in ein ungünstiges Licht rückt.

BGH, I ZR 197/07 – Concierto de Aranjuez

BGH, Urteil vom 22. April 2010 – I ZR 197/07 – Concierto de Aranjuez

Amtlicher Leitsatz:

Ein Verlagsvertrag über ein Werk der Literatur oder der Tonkunst im Sinne des Verlagsgesetzes setzt lediglich voraus, dass der Verfasser sich verpflichtet, dem Verleger das Werk zur Vervielfältigung und Verbreitung für eigene Rechnung zu überlassen, und der Verleger sich verpflichtet, das Werk zu vervielfältigen und zu verbreiten. Der Verfasser hat dem Verleger zwar grundsätzlich das ausschließliche Recht zur Vervielfältigung und Verbreitung (Verlagsrecht) zu verschaffen. Diese Verpflichtung kann jedoch vertraglich abbedungen werden. Dann steht dem Verleger nur ein einfaches Nutzungsrecht oder eine – allein im Verhältnis zum Verfasser wirkende – schuldrechtliche Befugnis zur Vervielfältigung und Verbreitung des Werkes zu. Dadurch verliert der Vertrag aber nicht seinen Charakter als Verlagsvertrag.

BGH, X ZR 73/08 – Gleitlagerüberwachung

BGH, Urteil vom 31. August 2010 – X ZR 73/08 – Gleitlagerüberwachung

Amtliche Leitsätze:

Kritik in der Beschreibung des Streitpatents an dem in einer Vorveröffentlichung offenbarten Lösungsweg kann auf einen für den Fachmann gegebenen Anlass hindeuten, eine Weiterentwicklung des Stands der Technik außerhalb der von diesem Vorschlag vorgezeichneten Bahnen zu suchen, sofern sich diese Kritik nicht als rückschauend nach Auffindung der streitpatentgemäßen Lösung gewonnene Analyse darstellt.

Steht der Fachmann vor dem Problem, eine angewandte technische Methode durch weitere Schritte zu verfeinern, wird er sich von der genauen Analyse einer grundsätzlich einschlägigen Vorveröffentlichung nicht deshalb von vornherein abhalten lassen, weil diese im Ausgangspunkt eine andere als die von ihm favorisierte Methode vorsieht (hier: Detektion von Lagerschäden in Verbrennungsmotoren durch Messung von Öldruckschwankungen anstelle von Thermostromfluss). Aufgrund seines allgemeinen Erfahrungswissens rechnet er stets mit der Möglichkeit, dass dort gegebenenfalls vorgeschlagene weitere Schritte sich als verallgemeinerungsfähig und in dem ihm selbst vorschwebenden Lösungsweg verwendbar erweisen könnten.

-> Erfinderische Tätigkeit

BGH, Xa ZR 14/10 – Windenergiekonverter: Nichtigkeit eines Wirtschaftspatents aufgrund unzulässiger Erweiterung des Schutzbereichs

BGH, Urteil vom 9. September 2010 – Xa ZR 14/10 – Windenergiekonverter

Amtlicher Leitsatz:

Der Schutzbereich eines Patents darf im Rahmen des in § 12 ErstrG vorgesehenen Prüfungsverfahrens nicht erweitert werden.

Aus der Urteilsbegründung:

Die Regelung in § 12 ErstrG trägt dem Umstand Rechnung, dass nach dem Patentgesetz der Deutschen Demokratischen Republik sowohl Wirtschaftspatente als auch Ausschließlichkeitspatente ohne vorherige Prüfung auf das Vorliegen aller Schutzvoraussetzungen erteilt werden konnten. Sie eröffnet dem Patentinhaber und jedem Dritten die Möglichkeit, für Schutzrechte, die nach den Regeln des Einigungsvertrages (Anlage I Kapitel III Sachgebiet E Ab-schnitt II § 3 Abs. 1 Satz 1) in Kraft geblieben und gemäß § 4 ErstrG zum 1. Mai 1992 auf das übrige Bundesgebiet erstreckt worden sind, eine solche Prüfung nachträglich zu veranlassen. Das Prüfungsverfahren ist weitgehend wie das Verfahren zur Prüfung einer Anmeldung nach den Regeln des Patentgesetzes ausgestaltet. Folgerichtig kommt der zunächst erteilten Fassung des Patents im Prüfungsverfahren im Wesentlichen dieselbe Funktion zu wie einer Patent-anmeldung im Sinne von § 34 PatG. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass der Schutzbereich des Patents im Prüfungsverfahren innerhalb der durch den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung vorgegebenen Grenzen erweitert werden kann.

BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 90/08 – Mundspüllösung

BGH, Urteil vom 5. Oktober 2010 – I ZR 90/08 – Mundspüllösung

Eine für die Bejahung einer pharmakologischen Wirkung eines Stoffes erforderliche Wechselwirkung zwischen seinen Molekülen und Körperzellen liegt auch dann vor, wenn die Moleküle eine ohne sie gegebene Einwirkung anderer Stoffe auf die Körperzellen verhindern.

EPA, Großen Beschwerdekammer, G 2/08: Zur Patentierbarkeit von Arzneimitteln

Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 19. Februar 2010, G 2/08

Antworten auf die Vorlagefragen:

Frage 1: Wenn die Verwendung eines Arzneimittels bei der Behandlung einer Krankheit bereits bekannt ist, schließt Artikel 54 (5) EPÜ nicht aus, dass dieses Arzneimittel zur Verwendung bei einer anderen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert wird.

Frage 2: Die Patentierbarkeit ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist.

Frage 3: Wird dem Gegenstand eines Anspruchs nur durch eine neue therapeutische
Verwendung eines Arzneimittels Neuheit verliehen, darf der Anspruch nicht mehr in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden, wie sie mit der Entscheidung G 1/83
geschaffen wurde.

Aus der Entscheidungsbegründung:

Es würde dem in Artikel 31 (1) des Wiener Übereinkommens verankerten Grundsatz von Treu und Glauben zuwiderlaufen, wenn man der Formulierung „zur spezifischen Anwendung“ entgegen ihrer gewöhnlichen Bedeutung eine einschränkende Bedeutung verleihen würde.

Die Große Beschwerdekammer kommt zu dem Schluss, dass es nur einen vernünftigen Weg gibt, das der spezifischen Anwendung zugrunde liegende Erfordernis zu verstehen, nämlich lediglich als Kontrast zum allgemeinen breiten Schutz, den die erste beanspruchte medizinische Anwendung eines Stoffes oder Stoffgemisches verleiht und der grundsätzlich nicht auf eine bestimmte Indikation beschränkt ist. Mithin muss die neue Anwendung im Sinne des Artikels 54 (5) EPÜ nicht in der Behandlung einer anderen Krankheit bestehen.

BGH: Bildunterstützung bei Katheternavigation fällt nicht unter § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG

Bei der BGH-Entscheidung „Bildunterstützung bei Katheternavigation“ hattte der BGH zu untersuchen inwieweit ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan unter das Patentierungsverbot nach § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG fällt.

Aus den Leitsätzen:

PatG §§ 14, 34 Abs. 3 Nr. 3; EPÜ Art. 69 Abs. 1, Art. 78 Abs. 1 lit. c

In einem Patentanspruch enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben müssen sich nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs oder auf dessen einzelne Merkmale beziehen. Sie können den Erfindungsgegenstand auch sprachlich zu solchen Gegenständen oder Verfahren in Beziehung setzen, die zur beanspruchten Lehre nur in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technisch-gegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann (hier: Bezeichnung eines Verfahrens als Verfahren bei der gezielten Navigation eines Katheters an einen pathologischen Ort in einem menschlichen oder tierischen Hohlraumorgan).

PatG § 2a Abs. 1 Nr. 2, § 5; EPÜ 2000 Art. 53 lit. c, Art. 57

Ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten Katheters an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan unterfällt nicht dem Patentierungsausschluss für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers, weil dieser nicht die Patentierung von Verfahren einschließt, die im Zusammenhang mit der Durchführung eines chirurgischen Verfahrens verwendet werden können (vgl. EPA, Große Beschwerdekammer, Entscheidung vom 15. Februar 2010 – G 1/07, Gliederungspunkt 5).

Ein solches Verfahren ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt fehlender Gewerblichkeit von der Patentierung ausgeschlossen.

Aus den Gründen:

In dem im Erteilungsverfahren zuletzt formulierten Patentanspruch 1 (Gliederungspunkte M1 bis M6 des Bundespatentgerichts in eckigen Klammern) wurde ein Verfahren zur Bildunterstützung bei der gezielten Navigation eines in ein Hohlraumorgan des menschlichen oder tierischen Körpers invasiv eingeführten medizinischen Instruments als Katheter an einen pathologischen Ort im Hohlraumorgan [M1] vorgeschlagen, bei welchem

  1. anhand einer vorab mittels einer nicht-invasiven Untersuchungsmodalität aufgenommenen ersten Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans die Position eines oder mehrerer pathologischer Orte manuell durch den Benutzer oder automatisch unter Verwendung eines Bildanalysesystems
    a) lokalisiert [M2, M5],
    b) markiert [M4, M5], und
    c) hervorgehoben dargestellt werden [M4, M5] und
  2. die Bilddarstellung während der nachfolgenden Navigation des Instruments zusammen mit einer zweiten kontinuierlichen angiografisch aufgenommenen Bilddarstellung zumindest eines Teils des Hohlraumorgans, in dem sich die Spitze des Instruments befindet, wiedergegeben wird [M3],
  3. wobei die Angiografiebilder derart aufgenommen werden, dass sie die Katheterspitze des Instruments zeigen [M6].

Das Patentgericht hat das beanspruchte Verfahren als ein solches zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers eingeordnet, das nach § 5 Abs. 2 PatG a.F. als nicht gewerblich gelte bzw. das nach dem Patentierungsausschluss in § 2a Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 PatG nicht patentierbar sei. Zu dem beanspruchten Verfahren gehöre als ein Verfahrensschritt, dass chirurgisch zur Untersuchung eines Organs bzw. zum Auffinden von pathologischen Orten in den lebenden Körper eines Menschen oder eines Tieres eingegriffen und ein Katheter in ein Hohlraumorgan invasiv eingeführt und gezielt an einen pathologischen Ort navigiert werde. Beim Legen eines Katheters handle es sich um eine als Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers einzustufende Intensivtechnik.

Dieser Ansicht des Patentgerichts, dass die gezielte Navigation eines invasiv an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan geführten Katheters mit zum Gegenstand der Anmeldung gehören und dieser das Gepräge einer von der Patentierung auszuschließenden chirurgischen Behandlung geben soll, folgt der BGH nicht, da diese Ansicht auf einer unzutreffenden Auslegung von Patentanspruch 1 beruht.

Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt laut BGH nicht, dass alle sprachlichen Elemente eines formulierten Patentanspruchs Merkmale des Gegenstands beschreiben, der mit dem Anspruch unter Schutz gestellt werden soll. So können Sach- bzw. Vorrichtungsansprüche Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben enthalten, die nur unter besonderen Voraussetzungen als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen etwa im Hinblick auf dessen vorausgesetzte Eignung. Im Allgemeinen wird die Sache oder Vorrichtung aber unabhängig von dem Zweck, zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlich-körperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 – X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn. 15; Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 15 – Bauschalungsstütze). In solchen Fällen benennen Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben keine Merkmale des unter Schutz gestellten Gegenstands. Entsprechendes gilt grundsätzlich auch für gegebenenfalls in Verfahrensansprüchen enthaltene Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben (vgl. Busse/Keukenschrijver, Patentgesetz, 6. Aufl., § 14 Rn. 52). Zweck-, Wirkungs- bzw. Funktionsangaben müssen sich des Weiteren nicht zwangsläufig auf den Gegenstand des Anspruchs bzw. einzelne seiner Merkmale beziehen. Es ist einem Anmelder vielmehr unbenommen, den Erfindungsgegenstand im Patentanspruch sprachlich auch zu solchen Erzeugnissen oder Verfahren in Beziehung zu setzen, die zur beanspruchten Lehre in einem bestimmten Sachzusammenhang stehen und deren Erwähnung dem Fachmann eine Orientierungshilfe bei der technisch-gegenständlichen Erfassung und Einordnung des Gegenstands der Lehre sein kann.

Daher kommt der BGH zum Schluss, dass hiernach im vorliegenden Fall die gezielte Navigation des invasiv eingeführten medizinischen Elements als Katheter an einen pathologischen Ort in einem menschlichen Hohlraumorgan nicht zu den Merkmalen der beanspruchten Lehre gehört.

Entscheidend ist dabei, dass der Patentanspruch gezielt zwischen dem Bildgebungsverfahren und der Katheternavigation unterscheidet und auch die Patentanmeldung nur eine Lehre zum technischen Handeln für das Bildgebungsvefahren gibt.

In diesem Punkt unterscheidet sich das vorgeschlagene Ver-ahren auch von demjenigen, auf das sich Leitsatz 1 der Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts vom 15. Februar 2010 bezieht. Dort ging es um ein Bildgebungsverfahren zur Magnetresonanzdarstellung der Lungen- und/oder Herzgefäße, bei dem polarisiertes Xenon, das eine gelöste Bildgebungsphase umfasst, verabreicht wird, und zwar unter anderem durch Injektion in eine Herzregion. Diese Maßnahme, in der die Große Beschwerdekammer ein Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen Körpers gesehen hat, war konstitutiver Bestandteil des dort beanspruchten Bildgebungsverfahrens, und nicht, wie vorliegend, ein außerhalb eines solchen Verfahrens liegender Vorgang.

Im Übrigen schließt der BGH auch aus, dass es sich bei dem beanspruchten Verfahren um ein Diagnostizierverfahren handelt, das unter den mit Art. 52 Abs. 4 EPÜ 2000 sachlich übereinstimmenden Patentierungsausschluss für diagnostische Verfahren in § 2a Abs. 1 Nr. 2 PatG fallen könnte. Es mag zwar mit der ersten Bilddarstellung (Merkmalsgruppe 1) aufgrund einer am menschlichen Körper vorgenommenen Untersuchung Bilddaten liefern, die der Lokalisierung, Markierung und hervorgehobenen Darstellung pathologischer Orte eines Hohlraumorgans dienen und damit für die spätere Erstellung einer Diagnose hilfreich sein. Damit stellt dieser Verfahrensschritt aber allenfalls ein für eine Krankheitsbestimmung relevantes Zwischenverfahren dar, was für sich den Patentierungsausschluss indes nicht begründet (vgl. Busse/Keukenschrijver aaO § 5 Rn. 35 mwN in Fn. 138; Schulte/Moufang, Patentgesetz, 8. Aufl., § 2a Rn. 85). Denn der weitere beanspruchte Verfahrensgang macht deutlich, dass es nicht um eine Diagnose geht. Das zweite Bildgebungsverfahren dient räumlich allein der kontinuierlichen Aufnahme der Katheterspitze; die für die Befunderhebung maßgeblichen Daten dürften nach dem gesamten Inhalt der Anmeldungsunterlagen maßgeblich über den Katheter selbst geliefert werden, dessen Führung, wie ausgeführt, aber nicht Bestandteil des beanspruchten Verfahrens ist.

EPA: Änderung von R. 36 – Teilanmeldung

Der Verwaltungsrat hat am 26. Oktober 2010 folgende geänderte R. 36 EPÜ beschlossen, die am gleichen Tag in Kraft getreten ist und in der der „erste Bescheid“, der die 24-monatige Frist für die Teilanmeldung auslöst, konkretisiert ist  (die zugehörige EPA-Mitteilung finden Sie hier):

Artikel 1

1. Regel 36 Absatz 1 der Ausführungsordnung zum EPÜ erhält folgende Fassung:

„(1) Der Anmelder kann eine Teilanmeldung zu jeder anhängigen früheren europäischen Patentanmeldung einreichen, sofern:

a) die Teilanmeldung vor Ablauf einer Frist von vierundzwanzig Monaten nach dem ersten Bescheid der Prüfungsabteilung nach Artikel 94 Absatz 3 und Regel 71 Absätze 1 und 2, oder Regel 71 Absatz 3 zu der frühesten Anmeldung eingereicht wird, zu der ein Bescheid ergangen ist, oder

b) die Teilanmeldung vor Ablauf einer Frist von vierundzwanzig Monaten nach einem Bescheid eingereicht wird, in dem die Prüfungsabteilung eingewandt hat, dass die frühere Anmeldung nicht den Erfordernissen des Artikels 82 genügt, vorausgesetzt, sie hat diesen konkreten Einwand zum ersten Mal erhoben.

Artikel 2

(1) Dieser Beschluss tritt am 26. Oktober 2010 in Kraft.

(2) Unbeschadet des Artikels 3 des Beschlusses CA/D 2/09 des Verwaltungsrats gilt die mit Artikel 1 dieses Beschlusses neu gefasste Regel 36 Absatz 1 für ab dem 1. April 2010 eingereichte Teilanmeldungen.